Peter Hoffmann
William Kingsford Professor
The Department of History, McGill University
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  • Stauffenberg und der 20. Juli 1944.
    104 pp.  Munich, C.H.Beck Verlag, 1998.

    Prolog 

    Die Epoche Stauffenbergs ist selbst ohnegleichen in der deutschen Geschichte; denn der deutsche Staat war 1933 einer Verbrecherbande in die Hände gefallen.  Es gab kein eigentliches Parlament mehr, keine Gerichte und keine kirchliche Autorität, die sie hätten zügeln können.  die neuen Führer schreckten vor keiner Schandtat zurück, überzogen Europa mit einem Krieg, den sie gegen die damalige Sowjetunion als erklärten Vernichtungskrieg führten, und ermordeten unter dem Deckmantel des Krieges Millionen Polen, sowjetische Kriegsgefangene und Juden.  In den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft wurden die größten und furchtbarsten Verbrechen der deutschen Geschichte begangen.  Sechs Millionen Juden wurden systematisch ermordet, Hunderttausende Frauen, Kinder und Männer wurden an riesigen Massengräbern erschossen, Millionen wurden in riesigen Gaskammern umgebracht und anschließend kremiert.  In weniger als einem Jahr nach dem Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion (1941) waren 2 Millionen Kriegsgefangene der Roten Armee in deutschem Gewahrsam umgekommen durch Verhungern, Typhus, Massenmord.   Millionen Polen und Angehörige anderer Völker, Millionen deutscher Soldaten hat der Diktator, dem so viele in den Machtrausch gefolgt waren, mit seinem Größenwahnsinn zu Tode gebracht.  Dutzende großer deutscher Städte mußten in Schutz und Asche fallen, Hunderttausende Zivilisten mußten ihr Leben verlieren, sechzehn Millionen Deutsche aus den Ostprovinzen mußten Vertreibung aus der Heimat erdulden, zwei Millionen von ihnen dabei auf grausame Weise den Tod erleiden, weil der größte Verbrecher der deutschen Geschichte territoriale und biologische Eroberungen und Pläne verfolgte, an deren Verwirklichung er selbst nicht glaubte.

    Um diesen Verbrechen Einhalt zu gebieten, um sie wenigstens nicht schweigend hinzunehmen, schließlich auch nur, um sich, sei es durch den eigenen Tod, von den Verbrechern zu trennen, haben wenigstens ein Dutzend Deutsche ihr Leben und angesichts des hemmungslosen Sadismus der Machthaber auch das ihrer Familien und Freunde aufs Spiel gesetzt für den Versuch, dem Diktator Adolf Hitler das Leben zu nehmen.  Dieser Aufstand von wenigen gegen das Urböse war eines der besonderen Kennzeichen seiner Herrschaft.

    Der erste der bekannt gewordenen Attentäter war der schwäbische Möbelschreiner und Tüftler Georg Elser aus Heidenheim an der Brenz.  Er ging ganz allein, ohne Verbindung mit anderen Gegnern oder einer Untergrundgruppe vor.  Am 8. November 1939 kam er seinem Ziel mit einer im Münchner "Bürgerbräukeller" am Rosenheimer Platz in einer Säule hinter Hitlers Rednerpult in wochenlanger nächtlicher Arbeit eingebauten Zeitbombe fast so nahe wie Stauffenberg fünf Jahre später in Hitlers Hauptquartier "Wolfschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen.  Andere Tatbereite kamen dagegen wegen der Sicherheitsmaßnahmen zum Schutze Hitlers und wegen seiner Unberechenbarkeit gar nicht an Hitler heran.  Wenn hier vor allen über Stauffenberg und den 20. Juli 1944 berichtet wird, verdienen gleichwohl alle, die mit der Tat und mit dem Einsatz des Lebens gegen die verbrecherische Staatsführung aufgetreten sind, ihren Platz in dieser Reihe. Was aber Stauffenberg hervorhebt, kennzeichnet zugleich die Herrschaft der Nationalsozialisten.

    Stauffenberg stammte aus der konservativen staatstragenden Schicht, von der viele den Nationalsozialismus für eine vaterländische, die nationalen Belange gegenüber den Feindmächten des Weltkrieges (damals sprach man nicht von "Siegermächten") geltend machende Bewegung hielten, aus einer Schicht also, deren Mitglieder am ehesten bereit waren, die von den Nationalsozialisten proklamierte nationale Erneuerung des deutschen Lebens und Reiches sowie die Lösung der "sozialen Frage" mitzutragen.  Stauffenberg gehörte zu der Elite der Offiziere des Heeres und des Generalstabes.  Sein Leben gehörte dem soldatischen Gehorsam, dem Kriegshandwerk, der Loyalität gegenüber der Staatsführung.  Er wandte sich ab von der bestehenden Staatsführung aus Einsicht in die grundsätzliche Verderbnis des Regimes.  Seine Abkehr und sein Anschlag waren mitgetragen von hohen Funktionären des Staates und des Militärs:  solchen, die mit der völkischen Ideologie der Nationalsozialisten anfänglich einverstanden waren, und solchen, die sie als menschenfeindlich von Anfang an erkannt hatten, sowie von natürlichen Gegnern der Nationalsozialisten in der Sozialdemokratie, in den Gewerkschaften, in den Konfessionen, unter Politikern der Weimarer Republik.  Stauffenbergs Anschlag enthüllte durch seine Sichtbarkeit und durch seine schrecklichen Folgen für die Widerstandsbewegung die Tiefe und den Umfang der Bewegung zum Sturze Hitlers und des pervertierten Nationalsozialismus.

    Denken und Verhalten Stauffenbergs - wie auch seiner Zeitgenossen - sind aus dem Bewußtseinsinhalt der damals Lebenden zu begreifen und aus den herrschenden Normen.  Nach Auffassung der Generation, die 1914-1918 gegen den größten Teil der Welt den Kampf um die "Selbstbehauptung", wie man den Krieg von seinem Beginn an nannte, bestanden hatte, die der Abtrennung von Rhein und Ruhr durch Frankreich nur durch das Dazwischentreten Amerikas und durch den von Präsident Woodrow Wilsons "14 Punkten" auferlegten Zwang zum Kompromiß hatte entgehen können, war ein neuer vaterländischer Kampf in der Zukunft kaum zweifelhaft, und vielen von ihnen war er "hehres Ziel".  Wer wie Stauffenberg in den zwanziger Jahren des Jahrhunderts Soldat wurde, konnte es werden in der Überzeugung, seinem Volke zu dienen, und in der Erwartung, nicht etwa für das Gegenteil mißbraucht zu werden.

    Man mag das damalige Denken ablehnen und mag damit rechthaben. Krieg zur Wahrung nationaler Interessen war damals überwiegend gesellschaftlich sanktioniert.  Obwohl Stauffenberg und die meisten anderen Berufsoldaten den Krieg mit seinen Schrecken nicht wünschten, waren sie Soldaten, weil er notwendig werden konnte.  Es gab nicht die heute verbreitete Militärmüdigkeit.  Kam also ein Krieg, so hatten die Soldaten ihr Handwerk auszuüben.  Meist glaubten Soldaten die Erklärungen der eigenen nationalen Interessen oder des Unrechts der Gegenseite.  Wenn sie die Politik der eigenen Regierung nicht guthießen, konnten sie doch nicht den Standpunkt der Gegner des eigenen Landes einnehmen.

    Einige wenige von ihnen besaßen aber soviel Unabhängigkeit des Denkens, daß sie erkannten, daß sie in Verhängnis und Schuld verstrickt wurden. In den für den Tag der Erhebung vorbereiteten Erklärungen über die Wiederherstellung des Rechts, die Wiedereinsetzung der Rechtsgarantien der Verfassung der Weimarer Republik, die Errichtung einer neuen Verfassung aufgrund einer Volksabstimmung mit Beteiligung der Frontsoldaten, und über die Beendigung der Judenverfolgung stand auch, die Soldaten seien von einer gewissenlosen Führung getäuscht und mißbraucht worden.  Als Stauffenberg die Augen über die zutiefst verbrecherische Natur der nationalsozalistischen Herrschaft geöffnet waren, sprach er es so aus:  "Wir sind als Generalstäbler alle mitverantwortlich."

    Stauffenberg war sich bewußt, auf Grund seiner Begabung und seiner Familientradition Anspruch auf einen Platz in den ersten Rängen der Staatsdiener zu haben.  Das Bewußtsein, durch Herkunft und Intelligenz anders zu sein als seine gleichaltrigen Zeitgenossen, bestärkte ihn darin.

    Stauffenbergs Zugehörigkeit zum esoterischen Kreis um den Dichter Stefan George verstärkte dies Bewußtsein, aber auch die Trennung zwischen ihm un denen, die nicht dem Kreis des Dichters zugewandt waren.  Die Bindung an Stefan George und die Verwurzelung in seinem Denken reicht für Stauffenberg und seine Brüder bis in die Tage vor der Erhebung des 20. Juli 1944, und sie hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Vorbereitung des Umsturzes.  Der heutigen Tabuisierung der Ungleichheit der Menschen wären die Stauffenbergs als lebender Widerspruch gegenüber gestanden.

    Die Gedanken der Stauffenbergs sind auch heute so unorthodox und für das heutige Denken herausfordernd, daß noch 1992 die vollständige Veröffentlichung von Stauffenbergs politischem Bekenntnis, das er als "Schwur" der Nachfahren Stefan Georges verfaßt hatte, fast verhindert worden wäre. Der Versuch, fast fünfzig Jahre nach Stauffenbergs Tod seinen Geist zu zensieren, ist ein erstaunlicher Hinweis auf die Herausforderung, die in seiner Persönlichkeit wie in seiner Tat liegt.  Es gab auch andere Hindernisse, die den Zugang zu Stauffenbergs Denken erschwerten.  Dazu gehört die Abgeschlossenheit des Generalstabes mit seiner Sonderstellung in dem elitären Berufsoffizierkorps der damaligen Reichswehr, und noch im Massenheer der Kriegsjahre seit 1939.  Generaloberst Franz Halder, der Chef des Generalstabes des Heeres 1938-1942, meinte, wegen der "Abdichtung der Generalstabsarbeit gegenüber der Öffentlichkeit" könne gar keine Geschichte des Generalstabes geschrieben werden.

    Das alles wird die um die Erkenntnis der Geschichte sich Mühenden nicht abschrecken.  Zum Thema Stauffenberg und der 20. Juli 1944 führen viele Wege:  die in der Familientradition wurzelnden Pflicht- und Ehrauffassungen, die frische innige Frömmigkeit Stauffenbergs, die Denkwelt des Kreises um den Dichter Stefan George, die verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Bindungen, die in den 1930er Jahren vor allem in Berlin während der Kriegsakademiezeit entstanden, und alles einschließend und überragend Stauffenbergs vorbehaltlose Bindung an seinen Soldatenberuf. 

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