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Für Zeithistoriker zum Zähne klappern

Von Sven Felix Kellerhoff 21. Januar 2009, 03:42 Uhr

"Operation Walküre" entspricht in vielen Punkten nicht den historischen Tatsachen. Stauffenberg-Biograf Peter Hoffmann nennt den Film trotzdem "korrekt"

Spielfilme sind keine geschichtswissenschaftlichen Studien. Daher genießen Drehbuchautoren und Regisseure durchaus Freiheiten, wenn sie einen zeithistorischen Stoff fürs Kino in Szene setzen: Sie dürfen Abläufe straffen, mehrere Personen zu einer Filmfigur bündelt, sogar Dialoge ergänzen - sofern es der Dramaturgie dient und wenn sie dem Publikum eindeutig sagen, dass sie die Wirklichkeit nur als Anregung benutzt haben.

Doch alles hat seine Grenzen: Wenn der an ein tatsächliches Ereignis angelehnte Film den Kern der historischen Realität substanziell falsch darstellt, haben die Filmschaffenden diese Grenzen deutlich überschritten.

Zeitgeschichtlich betrachtet ist Bryan Singers "Operation Walküre" ein Fiasko. Das liegt nicht einmal an den zahlreichen Fehlern, obwohl sie schon durch oberflächliche Lektüre weniger Standardwerke zu vermeiden gewesen wären. Trotzdem lobt sich Drehbuchautor Christopher McQuarrie dafür, die Geschichte des Stauffenberg-Attentats "so nah wie möglich an der Wahrheit" erzählt zu haben.

Wo liegt der dramaturgische Ertrag, wenn Claus von Stauffenberg durchweg als Oberst bezeichnet wird, obwohl er doch erst am 1. Juli 1944 in diesen Rang befördert wurde? Selbstverständlich war es nicht Henning von Tresckow, sondern sein Adjutant Fabian von Schlabrendorff, der die Likörflaschen mit der in Hitlers Flugzeug geschmuggelten, aber nicht explodierten Bombe im März 1943 in einer riskanten Aktion zurückholte.

Unnötig ist auch, dass die Ereignisse sowohl beim abgebrochenen Anschlagsversuch am 15. Juli als auch beim Attentat am 20. Juli verfälscht werden. Nach dem Attentat tut Tom Cruise als "Stauffenberg" beispielsweise so, als rufe er von der Wache des Führerhauptquartiers aus Generalfeldmarschall Keitel an, um sich die Bestätigung zu holen, das Sperrgebiet zu verlassen. Der Wachhabende lässt ihn daraufhin passieren, ohne mit dem angeblichen OKW-Chef gesprochen zu haben. In Wirklichkeit telefonierte Stauffenberg in diesem Moment jedoch mit Leonhardt von Möllendorff, dem Adjutanten des "Wolfschanze"-Kommandanten. Der ließ sich den Posten geben und wies ihn an, den Oberst durchzulassen. Was in Wirklichkeit ein Beleg für Stauffenbergs äußerste Kaltblütigkeit war, reduziert Singer zum billigen Taschenspieler-Trick.

Doch diese und viele weitere Fehler wären für das Publikum zu verschmerzen, selbst wenn Fachhistoriker mit den Zähnen klappern. Inakzeptabel freilich ist, wie Singers Film die Zusammenhänge in der Widerstandbewegung verzerrt. Wenn ein Dutzend saft- und kraftlose Herren in einer Villa beisammensitzen und über ihr Unglück räsonieren, Hitler widerstehen zu müssen, so wird ein völlig falsches Bild der Anti-Hitler-Bewegung gezeichnet. Noch dazu bekommen alle "Verschwörer" gelbe "Ausweise", die sie demonstrativ hochhalten - als handelte es sich um die Jahreshauptversammlung des Vereins "Verschwörung e.V." Eine "Konspiration" wie dieses wäre der Gestapo binnen kurzem bekannt geworden. Mit garantiert tödlichen Folgen.

Die Darstellung der beiden mitverschworenen Generäle Friedrich Olbricht und Erich Fellgiebel ist nichts anderes als Verleumdung Verstorbener. Beide bezahlten mit dem Leben für ihren mutigen Widerstand; in "Operation Walküre" erscheinen sie als windelweiche Gesellen. Unentschuldbar ist auch die Szene, in der Stauffenberg auf der Toilette Fellgiebel zum Mitmachen erpresst. Doch Singer kann noch schlimmer: Mit seinem Glasauge im Whisky-Glas signalisiert Cruise, dass er "Fellgiebel" zu sprechen wünscht. So etwas überzeugt nicht einmal in einem Mafia-Thriller der B-Kategorie. Auch die Schlüsselszene des Film ist rein fiktiv. Zwar war Stauffenberg tatsächlich am 7. Juni 1944 auf Hitlers Berghof, um an der Lagebesprechung teilzunehmen. Doch hat der "Führer" bei dieser Gelegenheit nicht die Einsatzpläne des Ersatzheeres (Codewort "Walküre") abgezeichnet - erst recht nicht die von Olbricht und Stauffenberg insgeheim geänderte Version, die übrigens aus dem Herbst 1943 stammte.

So frei wie schlecht erfunden ist schließlich die Konfrontation zwischen Thomas Kretschmann als "Major Remer" und Tom Wilkinson als "Generaloberst Fromm". In Wirklichkeit befahl Fromm, die Anführer des Aufstandes im Bendlerblock, Stauffenberg und seinen Adjutanten Werner von Haeften, Olbricht und Albrecht Mertz von Quirnheim, zu erschießen, ohne dass Remer dabei war. Erst recht nicht verlangte der überzeugte Nazi Remer von Fromm, ihm die vier Offiziere lebend auszuliefern.

Eine Frage bleibt: Warum bezeichnet Peter Hoffmann, der weltweit anerkannte Stauffenberg-Biograf, "Operation Walküre" als "sehr weitgehend historisch" korrekt, wo doch seine eigenen Forschungen das Gegenteil beweisen? Angeblich hat Hoffmann die Drehbuchautoren "ohne Honorar informell" beraten. Das wäre freilich extrem untypisch, denn Beraterhonorare sind in den Budgets zeithistorischer Spielfilme fest eingeplant.

Außerdem hatte Peter Hoffmann den Film "Stauffenberg" von Jo Baier (2004) anfangs ebenfalls fachlich beraten - gegen Geld. Doch dann zerstritten sich der Historiker und die Produktionsfirma "wegen neuerlicher Honorarforderungen" Hoffmanns. Über die Höhe ist nichts Sicheres bekannt; gerüchteweise kursiert die Zahl 50 000 Euro. Nach diesem Streit verriss Hoffmann Baiers Film in einer Zeitung und warf dem Regisseur "gravierende Lücken" und "wissentliche Unterschlagungen" vor.

Vergleicht man jedoch Baiers "Stauffenberg" (zu dem es auch genügend Kritisches zu sagen gäbe) mit Singers "Operation Walküre", so zeigt sich, dass die deutsche Produktion bedeutend näher bei der historischen Realität bleibt als der Hollywood-Film.

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