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Seine historische Rolle

 

Das war nicht der wahre "Stauffenberg" / Von Peter Hoffmann

 

Der Film "Stauffenberg" erreichte am 25. Februar im ersten Programm einen Marktanteil von 22,9 Prozent, er hat 7,58 Millionen Zuschauer für die Vorgänge des 20. Juli 1944 interessiert. Doch bekamen sie nur einen Auszug des Geschehens zu Gesicht, nämlich einen Militärputsch.

Der Hintergrund, die jahrelangen Bemühungen und Versuche der vorwiegend zivilen Verschwörer, angefangen von Carl Goerdeler, Helmuth von Moltke, Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi bis zu den Sozialdemokraten Julius Leber, Carlo Mierendorff, Hermann Maass, Wilhelm Leuschner, Theodor Haubach und anderen, den Unrechtsstaat zu stürzen und das Recht und die in der Weimarer Verfassung verankerten und von Hitler aufgehobenen Grundrechte wiederherzustellen - das alles fehlt. Und so entsteht das falsche Bild eines Militärputsches.

Die Hauptgestalt, der Oberst im Generalstab Claus Graf Stauffenberg, übernimmt im Film seine historische Rolle als Offizier und seiner Verantwortung bewußter Gegner einer Führung von Verbrechern ohne die leiseste Andeutung einer vorhergegangenen Entwicklung. Das Fernsehpublikum erfuhr nichts von Stauffenbergs Ablehnung des Krieges vor seinem Beginn, nichts von Stauffenbergs persönlichen Bemühungen im Sommer 1942, lange vor der Katastrophe von Stalingrad, damals ohne Zusammenhang mit der zivilen Verschwörung, die Heerführer der Ostfront für eine Fronde gegen Hitler zu gewinnen, und nichts von einem entsprechenden Vorstoß bei Feldmarschall Erich von Manstein im Januar 1943. Dies sind gravierende Lücken, die durch erfundene Schlüsselszenen nicht ausgeglichen, sondern noch deutlicher werden.

Verletzte Privatsphäre

Die Begegnung zwischen Stauffenberg und General Erich Fellgiebel in einem Pissoir ist nicht nur formal geschmacklos, sondern durch keine Quelle belegt, also erfunden. Die bittere Eheszene zwischen Stauffenberg und seiner Frau Nina in Bamberg zwischen dem 16. und dem 20. Juli 1944 ist eine Fälschung und eine schmerzende Verletzung der Privatsphäre der noch lebenden Witwe und ihrer Familie. Sie verfälscht die Beziehung zwischen Stauffenberg und seiner Frau. Stauffenberg war vom 6. Juni 1944 bis zu seiner Erschießung am 20. Juli 1944 nicht mehr in Bamberg. Die Szene basiert auf Stauffenbergs Wunsch in den drei oder vier Tagen vor dem 20. Juli 1944, daß seine Frau und die Kinder die Abreise in die Schulferien um ein paar Tage verschieben möchten; denn sobald er wissen würde, daß er ins Hauptquartier Hitlers fliegen und das Attentat ausführen würde, wollte er seine Frau noch telefonisch erreichen können.

Der Gedanke eines Abschieds lag gewiß nahe. Stauffenberg hat keineswegs, wie der Film es darstellt, seiner Frau sein Vorhaben verborgen. Nina Gräfin Stauffenberg kannte seit langem die führende Rolle ihres Mannes in der Verschwörung. Als Stauffenberg am 6. Juni 1944 zum letztenmal bei seiner Familie in Bamberg war, gab es noch keinen bevorstehenden Termin für das Attentat, keinen Grund, eine entsprechende Mitteilung oder Andeutung zu verweigern; Stauffenberg sprach deshalb auch nicht von der Verschiebung der Abreise seiner Frau und der Kinder in die Ferien. Nina Gräfin Stauffenbergs für den Film erfundene Denunziation ihres Mannes als Fanatiker und das Verlangen, er müsse ihr versprechen, am Leben zu bleiben, das heißt, sich nicht in Gefahr zu begeben, ist schlicht absurd. Als Stauffenberg kurz vor dem 20. Juli seine Frau bat, die Abreise mit den Kindern in die Ferien zu verschieben, tat er es telefonisch und konnte es deshalb nicht begründen.

Noch schlimmer: Stauffenberg wird zu dem für den Widerstand zentral wichtigen Thema "Juden" mit einer einzigen Briefstelle aus der Zeit des Feldzuges in Polen zitiert, in der er schreibt, es gebe hier "Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk". Was mit dem Zitat suggeriert werden soll, bedarf keiner Erläuterung. Dagegen wurden die Verdikte Stauffenbergs gegen den Pogrom des 8. November 1938 und später gegen den Massenmord an den Juden, den er als ein Hauptmotiv für seinen Entschluß anführte, Hitler zu töten, wissentlich unterschlagen.

Auf den im Film dargestellten aufwühlenden Appell von Oberst im Generalstab Henning von Tresckow hin (Operationsoffizier im Oberkommando der Heeresgruppe Mitte), sich am Kampf gegen Hitler zu beteiligen, wobei Tresckow den Bericht eines einheimischen Mädchens über Massaker gegen die Bevölkerung zu Hilfe nahm, beruft sich der Film-Stauffenberg auf seinen Fahneneid und schlägt die Augen nieder. Das entspricht weder Stauffenbergs Charakter noch seinem Temperament. Tatsächlich war Stauffenberg Tresckow schon im Sommer 1941 beim Oberkommando der Heeresgruppe Mitte in Borissow begegnet, während es für die Szene "Weißrußland 1942" keinen Beleg gibt.

Der wirkliche Stauffenberg reagierte jedenfalls mit Zorn auf Berichte von Massenerschießungen, die er seit 1941 von dem Historiker Walter Bussmann sammeln ließ, der damals als Leutnant der Reserve in die Abteilung Kriegsverwaltung beim Generalquartiermeister versetzt war. Er reagierte mit Empörung auf Berichte von Major i. G. Heinz Danko Herre von der Abteilung Fremde Heere Ost über Massaker an Juden sowie über das Massensterben der russischen Kriegsgefangenen. Als er im Mai 1942 von dem damaligen Oberleutnant Hans Herwarth von Bittenfeld sowie von einem von der Front kommenden Augenzeugen weitere Berichte über SS-Massaker an Juden erhielt, erklärte er, Hitler müsse beseitigt werden - nicht wegen der falschen Kriegführung, nicht wegen einer etwaigen Niederlage, die Stauffenberg damals noch nicht drohen sah, sondern wegen der Verbrechen an den Juden, an der Zivilbevölkerung überhaupt, an den Kriegsgefangenen.

Im August 1942 sagte er unvermittelt während eines frühmorgendlichen Ausritts zu seinem Mitarbeiter Major i. G. Oskar-Alfred Berger: "Die erschießen massenhaft Juden, diese Verbrechen dürfen nicht weitergehen." Seit Präsident Boris Jelzin Bundeskanzler Helmut Kohl am 30. November 1997 in Sawidowno bei Moskau die Kopie einer Niederschrift von Aussagen des Majors i. G. Joachim Kuhn vom 2. September 1944 übergeben hat, weiß man (F.A.Z. vom 20. Juli 1998), daß Stauffenberg dem damaligen Hauptmann i. G. Kuhn im August 1942 in einem nächtlichen Gespräch im Hauptquartier bei Winniza erklärte: "Die täglichen Berichte von Stäben über die Behandlung der Bevölkerung durch die deutsche Zivilverwaltung, der Mangel an politischer Zielgebung für die besetzten Länder, die Judenbehandlung beweisen, daß die Behauptungen Hitlers, den Krieg für eine Umordnung Europas zu führen, falsch sind. Damit ist dieser Krieg ungeheuerlich ..."

Viele Motive für das Attentat

Stauffenberg nannte im Lauf der Jahre 1942 bis 1944 auch andere Motive für den Kampf gegen Hitler. Er sagte einmal, wenn er nicht alles tue, um Hitler zu beseitigen und Töten und Zerstörung zu beenden, könne er nach dem Krieg den Witwen und Kindern der Gefallenen nicht in die Augen sehen. Er hoffte natürlich, jedenfalls noch 1943, die Einheit und territoriale Integrität Deutschlands könne durch ein frühes Ende des Krieges noch gerettet werden. Aber die Verbrechen einschließlich des Mordes an den Juden nannte er immer wieder.

Der Drehbuchautor Jo Baier sowie der Leiter der Hauptabteilung Film und Serie des SWR Carl Bergengruen berufen sich also zu Unrecht auf ein im Juni 2003 von mir erstelltes Gutachten; darin wurden alle angeführten Verzeichnungen der Gestalt Stauffenbergs und der Vorgänge um ihn nachdrücklich beanstandet.

Der Verfasser ist William-Kingsford-Professor an der McGill University, Montreal, und Autor der Biographie "Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder" (Deutsche Verlags-Anstalt).

 

Qu.:  Frankfurter Allgemeine Zeitung 5.3.04 S. 44