Süddeutsche Zeitung
FEUILLETON Donnerstag,
26. Februar 2004
 
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Verschmähtes Vermächtnis

Was der Film "Stauffenberg" nicht zeigt / Von Peter Hoffmann

Die Welle der Veröffentlichungen zum Jahrestag des 20. Juli 1944 rollt durch das Land, eilige Premieren schon im Februar und März heben den Jahrestag wie kaum zuvor ins öffentliche Bewusstsein. Den Startschuss gab der Fernsehfilm "Stauffenberg", den die ARD gestern ausstrahlte. Er ist dramatisch spannend, aber wie steht es um seine historische Zuverlässigkeit? Was sagt er aus über die Zusammenhänge und Beweggründe der Verschwörer, den obersten Kriegsbefehlshaber zu töten, das Unrecht des Krieges und der Massentötungen zu beenden und in Deutschland den Rechtsstaat wieder aufzurichten?

Die Entwicklung der Hauptfigur Claus Graf Stauffenberg vom Offizier zum Hochverräter lässt sich der Film zum großen Teil entgehen. Es gibt die Szene in der Oper, in der er Nina Freiin von Lerchenfeld einen Heiratsantrag macht. Es gibt Briefauszüge aus der Zeit der Feldzüge in Polen und Russland, es gibt den Versuch von Oberst i.G. Henning von Tresckow im Jahr 1942, Stauffenberg zu überzeugen, dass Hitler beseitigt werden müsse, worauf Stauffenberg sich auf den Fahneneid beruft. Und es gibt schließlich die Bemerkung Stauffenbergs zu General Fellgiebel im Februar 1943, auch er halte den Krieg im Osten militärisch und menschlich für eine Katastrophe. Die tatsächliche Entwicklung Stauffenbergs aber vom unabhängig denkenden Offizier zum Kritiker des Nationalsozialismus, der Weg vom Nachdenken über das Wesen des Soldatentums und die Rolle des Offiziers bis zur Verurteilung der Verbrechen an der russischen Zivilbevölkerung und den Juden während des Ostfeldzuges und zu dem Entschluss, den obersten Befehlshaber zu stürzen – das alles fehlt.

Stattdessen wird ein Briefauszug verlesen, in dem Stauffenberg seiner Frau schreibt, die Bevölkerung Polens sei "ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich sicher nur unter der Knute wohlfühlt". Stauffenbergs wiederholte Verurteilungen der Morde an den Juden, im April und August 1942 gegenüber mindestens drei von einander unabhängigen Zeugen gemacht, werden gar nicht erwähnt. Im Film erscheint Stauffenberg erst nach seiner Verwundung in Tunesien als in der Verschwörung gegen Hitler tätig. Die Hintergründe der Umsturzbewegung, ihr Entstehen im nichtmilitärischen Umfeld seit etwa 1934, die ersten Umsturzversuche 1938, die Bemühungen von Carl Goerdeler, Hans von Dohnanyi, Hermann Maass, Julius Leber und anderen um die Gewinnung militärischer Führer werden nicht erwähnt. Es entsteht der Eindruck eines sehr ehrbaren, aber insgesamt doch reinen Militärputsches.

Das Leben von Tausenden

Der Zuschauer erfährt nichts davon, dass Stauffenberg sich im Sommer 1942 persönlich bei fast jedem Armeeführer der Ostfront um die Führung eines Umsturzes bemühte – lange vor der Katastrophe von Stalingrad und ehe Stauffenberg selbst den Krieg für verloren hielt. Er erfährt nichts von Stauffenbergs Brief an den Oberkommandierenden der 6. Armee, General Paulus, in dem er allen Heerführern vorwarf, "den Mut, eine das Leben von Tausenden betreffende Ansicht, ja Überzeugung zu vertreten, nicht aufzubringen". Er erfährt auch nichts von Stauffenbergs Erklärung im September 1942, er selbst sei bereit, Hitler zu töten, nichts von seinem Versuch am 26. Januar 1943, Feldmarschall von Manstein zur Führung einer Fronde gegen Hitler zu bewegen, worauf Manstein ihm mit Verhaftung drohte. Der Film unterschlägt eines der wesentlichen Motive Stauffenbergs, die Ermordung der Juden, und suggeriert vielmehr durch den erwähnten Briefauszug den gegenteiligen Eindruck.

Joachim Fest hat kürzlich den ethisch fundierten Kampf der deutschen Verschwörer und das Opfer ihres Lebens, das langsame Strangulieren an Fleischerhaken im Hinrichtungsschuppen in Berlin-Plötzensee "das verschmähte Vermächtnis" genannt. Es ist so. Bei aller rituellen Betroffenheit gelang den Deutschen nach dem Krieg nicht das Eingeständnis, dass die meisten von ihnen oder ihre Eltern oder Großeltern Hitler mehr oder weniger willig gefolgt sind.

Noch schwieriger war und ist die existentielle Herausforderung des Widerstandes: Die Verschwörer stellten sich in ihrem Bewusstsein und ihren Absichten außerhalb des geltenden sozialen Verhaltens. Man versuche, das nachzuvollziehen: Jede Äußerung im täglichen Umfeld konnte nur dem Verbergen der wahren Gedanken und Absichten dienen, während diese gleichzeitig mit der größten Energie im Geheimen betrieben werden mussten. Man muss sich das klar machen: Es war nicht nur die Furcht vor vorzeitiger Entdeckung, Verhaftung und Hinrichtung wegen Hochverrats. Es war die Einsamkeit, die völlige Isolierung im eigenen Volk, das Gefühl des Ausgeschlossenseins aus allem, was damals "national", patriotisch und nach allgemeinem Konsens richtig war.

Ärgernis und Verrat

Noch nach der Kapitulation von 1945 galt Widerstand weithin als das, als was ihn die Machthaber 1944 bezeichnet hatten: Verrat. Eine Minderheit der Deutschen sah den Widerstand gegen Hitler als grundlegende Tat und als Opfergang einiger Aufrechter, als "Aufstand des Gewissens" gegen das verbrecherische Regime. Nach einigem Zögern aus durchsichtigen politischen Erwägungen machte sich die Regierung der Bundesrepublik das Gedenken an Aufstand und Opfer zueigen, aber die Verlegenheit blieb und war immer spürbar gegenüber der Provokation, ja dem Ärgernis der aus dem Gewissen hervorgegangenen Tat.

Der Geist, aus dem sie kam, entstand eben nicht erst angesichts der militärischen Niederlage. Vier Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler benannte Dietrich Bonhoeffer den Urgrund seiner Ablehnung des Unrechtsregimes: "Nur der Führer, der selbst im Dienst der vorletzten und der letzten Autorität steht, findet Treue." Der Vorsitzende der SPD, Otto Wels, begründete sein Votum gegen Hitlers "Ermächtigungsgesetz" im März 1933 mit den Worten: "Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten." Im Verhör durch die Geheime Staatspolizei und vor dem Blutrichter des sogenannten Volksgerichtshofs schleuderten viele der Verschwörer, etwa Hans Bernd von Haeften oder Peter Graf Yorck, ihren Schergen die Anklage ins Gesicht, sie hätten millionenfachen Mord begangen, millionenfachen Mord auch an den Juden. Natürlich gab es auch Opportunisten unter den Gegnern Hitlers. Die führenden Köpfe aber wollten alle das Recht wiederherstellen, sie einigten sich auf die Wiedereinsetzung der von Hitler aufgehobenen Grundrechte der Weimarer Verfassung, aber sie wollten nicht die Zustände wiederherstellen, die den Diktator ohne parlamentarische Mehrheit durch Intrigen an die Macht gebracht hatten.

Seit mehr als dreißig Jahren werfen Historiker und andere den Gegnern Hitlers vor, sie seien keine Demokraten gewesen, jedenfalls nicht so, wie man heute nach Meinung dieser Ankläger hätte sein müssen. Einige Historiker, auch solche mit bekannten Namen, scheuen sich nicht, dem Widerstand eine "antisemitische Grundhaltung" anzulasten. Dies trifft weder für Tresckow noch für Stauffenberg, weder für Goerdeler noch für Dohnanyi zu, für fast keinen der führenden Köpfe trifft es zu. Ganz im Gegenteil, sie zählten den Mord an den Juden ausdrücklich zu ihren Hauptmotiven.

Wenn also die Widerstandleistenden in Wahrheit die Rechtdenkenden waren, müssen sich die, die trotz gegebenen Gelegenheiten nicht widerstanden haben, vorhalten, nicht rechtdenkend gewesen zu sein. Dass diese Einsicht schwerfällt, ist begreiflich. Hierin liegt jedenfalls eine Erklärung für die von Joachim Fest konstatierte "herrschende denunziatorische Laune gegenüber dem Widerstand".

Der Verfasser ist William Kingsford Professor an der McGill University, Montreal, und Autor der Biografie "Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder" (Deutsche Verlags-Anstalt, Neuausgabe 1. März 2004).

 



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Ijoma Alexander Mangold
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